Klaus Nissen

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Nepal

Nepal auf dem Globus
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die geografische Lage Nepals
anhand eines Globus.
Nepal ist hier ROT hinterlegt.

Am Manaslu

Von den Qualen des Aufstiegs, von Blutopfern und dem Gefühl, ein Rasiermesser am Hals zu haben.

Von Klaus Nissen

Montag, 15. April

19 Uhr - ich irre mit meinem Freund Traugott den Frankfurter Flughafen. Wir haben Tickets von Qatar Airways nach Kathmandu via Doha. Hin und zurück für 700 Euro.

Ausgerechnet jetzt rauscht es in meinem linken Ohr, wie so oft in letzter Zeit. Das Ohr wird fast taub, und ich weiß nie, ob es sich wieder erholt. Das versetzt mich in enormen Stress. Aber diesmal bin ich entschlossen, es zu ignorieren. Und siehe da: 14 Stunden später, irgendwo über dem südlichen Iran, hört es einfach auf!

Dienstag, 16. April

Die Ankunft in Kathmandu um 17 Uhr lässt mich deshalb locker, ich bin ja auch schon zweimal hier gewesen. Aber Traugott! Der Taxifahrer kurvt mit seinem schrottreifen Maruti-Suzuki-Kleinwagen zum Behufe des Kulturschocks extra durch die abgerocktesten Ecken der Stadt. Es ist staubig, die Straße rappelvoll mit Fußgängern, Mopedfahrern, Rikschas, Lastern, Kühen. Hupkonzerte. Am Rande versiffte Läden. Aber Traugott verzieht keine Miene. Der Müll der Millionenstadt landet im Bhagmati, dem schwarzen, von Plastiktüten gespickten Fluss.

Wir leisten uns das beste Zimmer im Pilgrims Guesthouse im nördlichen Thamel. Es hat zwei Balkone, sogar einen Fernseher und ein eigenes Bad mit warmem (!) Wasser. Per Mail vorher ausgemacht waren 20 Dollar pro Nacht. Jetzt will der Manager Kedar Gautam 36. Ok, das Zimmer ist groß. Wir einigen uns bei 30 Dollar. Immer noch ein stolzer Preis.

Was wir in Nepal wollen? Unter möglichst schwierigen Umständen herumlaufen, wie wir es schon seit vielen Jahren in verschiedensten Gegenden praktizieren. Diesmal um den Manaslu herum, einen der kleineren Achttausender, gut 100 Kilometer und damit eine Weltreise von Kathmandu entfernt. Wir brauchen ein staatliches Permit und eine Anreise-Gelegenheit. Den Führer wollen wir uns sparen. Aber Shankar, der im Guesthouse residierende Travel Agent, zieht uns den Zahn sofort: Ohne Führer bekommt Ihr kein Permit, sagt der alerte 26-Jährige. No way. Er habe gerade einen netten Kollegen an der Hand und stellt uns Bikash Bhattaraj vor: 30 Jahre alt, wirkt aber jünger. Er stamme aus Gurkha, sagt er uns beim Abendessen. Sein Vater (oh Gott, der ist jünger als wir!) sei pensionierter Gurkha-Offizier. Bikash selber hat zuerst Management studiert, musste dann aber ins Trekking-Business, weil er inzwischen eine Frau und eine zweijährige Tochter hat. Und Kathmandu sei verdammt teuer. Bikashs Führung wird uns 25 Dollar pro Tag kosten. Morgen besorgt er alle Permits, und am Donnerstag geht es los.

Donnerstag, 18. April

Morgens um halb sieben klopft unser Führer Bikash an die Tür des Hotelzimmers. Wir fahren von Kathmandu ins gut 100 Kilometer entfernte Gurkha, wo Bikash aufgewachsen ist und unbedingt bei der Verlobung seines gleichaltrigen Onkels Narayan dabei sein muss. Wir natürlich auch!

Aber gemach, es dauert. Hundert Kilometer sind wegen der schlechten Straßen in Nepal eine halbe Tagesreise im Bus. Das altersschwache Gefährt wartet an der nördlichen Ringstraße. Los geht es, sobald alle schmalen Sitze besetzt sind und und noch ein paar Extra-Fahrgäste auf Hockern im Mittelgang Platz genommen haben. Es gibt grundsätzlich keine leeren Sitzplätze in nepalesischen Bussen. Das Gefährt rattert im 20-Kilometer-Tempo auf der mit anderen Bussen und Lastwagen vollgestopften Ausfallstraße in Richtung Westen, über den Rand des Kathmandu-Tales und dann die Serpentinen auf den Prithvi-Highway entlang. Diese Hauptverkehrsachse des Landes ist eine schmale Teerstraße mit zahleichen geschotterten Abschnitten. Uns kommen Busse entgegen, die auch auf dem Dach Passagiere transportieren. Wenn sie einen Laster überholen wollen, hupt der Fahrer ausgiebig. Der Gegenverkehr spielt dabei keine Rolle. Die entgegenkommenden Fahrer bremsen, falls es sein muss. Meistens.

Gurkha liegt rund 1800 Meter hoch am Ende eines breiten Flusstals. Eine angenehm ruhige, nicht ganz arme Provinzstadt. Bikash bringt uns am frühen Nachmittag im traditionsreichen Hotel Gurkha Bisauni unter, das mit Parkwächter und einer Terrasse mit atemberaubender Aussicht auf die Berge ausgestattet ist. Leider sei gerade die Wasserversorgung kaputt, informiert uns der Mann an der Rezeption. Wir bekämen einen Wassereimer, falls wir mal aufs Klo müssten. Eine Nacht kostet tausend Rupies plus 23 Prozent Mehrwertsteuer und Service Charge. Also etwa zehn Euro.

Mit Sorge hat Bikash heute morgen gesehen, wie groß und schwer unsere Rucksäcke sind, die wir unbedingt selbst um den Manaslu tragen wollen. Gut 18 Kilo, weil wir auch das Zelt, Kocher, Müsli, Vollkornbrot und Nudeln dabei haben. Bikash will testen, wie fit wir sind und schlägt einen Spaziergang zum 300 Meter oberhalb von Gurkha liegenden Kali-Tempel vor. Da werde gerade das nepalesische Neujahrsfest gefeiert. Prima!

Zügig steigen wir auf. Auf den letzten hundert Höhenmetern sind die Stufen mit immer mehr Blutstropfen gesprenkelt. Ein Mann zieht ein widerstrebendes Zicklein aufwärts. Als ob sie ahnt, was ihr bevorsteht. Am Tempel-Eingang muss ich meine Schuhe ausziehen und den Gürtel abgeben, weil die Göttin Kali es als Beleidigung auffassen würde, wenn ich mit Leder in ihrem Tempel herumlaufe. Barfuß über ein Gemisch von Blut und Staub zu gehen, ekelt mich ein wenig. Aber die Neugier ist stärker.

Zu Neujahr opfern die Hindu-Familien aus der Stadt der Göttin ein Tier, erklärt uns Bikash. Sie zahlen 200 Rupies (knapp zwei Euro), damit der Priester der Ziege oder dem Huhn mit einem Schwertstreich den Kopf abtrennt. Falls er das nicht auf Anhieb schafft, ist das ein schlechtes Omen für das neue Jahr. Doch der Mann ist ein Profi. Das Blutbad findet in einem engen Häuschen statt, vor dem sich Mensch und Tier drängeln. Die Göttin behält die Köpfe, während der Familienvater versucht, den schlaffen Ziegenkörper in eine Plastiktüte zu stopfen. Sie tropft, während er sie treppab nach Hause trägt. Heute Abend gibt es reichlich Fleisch zu essen.

Wir genehmigen uns im Hotel lieber ein vegetarisches Dal Bhat: Reis mit Linsensuppe, Gemüse und Pickles. Lecker. Morgen früh geht es zur Verlobung, kündigt Bikash an. Ob wir vorher mit ihm zum Barbier gehen würden? Traugott und ich schauen uns an: Wir haben schon ziemliche Stoppelbärte. Aber fremde Männer mit scharfen Messern an die eigene Kehle lassen? Das haben wir bisher immer vermieden. Wir müssen noch drüber schlafen....

Freitag, 19. April

Heute wird eine Verlobung angebahnt, und wir dürfen dabei sein. Also ziehen wir unsere besten Klamotten an. Er werde sich sogar rasieren lassen, sagt unser Führer Bikash. Obwohl auf seinem jugendlichen Gesicht fast garnichts wächst. Wir könnten doch mitkommen zum Barbier, schlägt er vor. Der Figaro würde sich freuen. Wir tragen beide schon prächtige Stoppelbärte. Also los. Obwohl wir noch nie beim Barbier waren und zögern, einen fremden Man mit scharfem Messer an unsere Bärte zu lassen.

Der Barbier und sein Gehilfe arbeiten in einem garagenähnlichen Raum mit offener Front zur Hauptstraße. Der Meister persönlich bittet mich auf den Stuhl, drückt Rasiercreme auf die Wange und schwingt dann den langen Pinsel. Vor meinen Augen schält er eine neue Klinge aus der Verpackung und nimmt das Messer in die Hand. Ich bemühe mich, an etwas anderes zu denken. Geht doch! Kein Schnitt in Wange und Hals, kein Blut zu sehen. Nach einer kleinen Ewigkeit schlägt mir der Barbier auf den Kopf, zieht an meinen Armen und Fingern. Und ehe ich es verhindern kann, sprüht er mir Fett auf die Haare. Na, fettig werden die in den nächsten Tagen ohnehin. Bikash zahlt 50 Rupies für seine Rasur, und auch von uns reichen Ausländern kann der Barbier nicht mehr kassieren, was ihn sichtlich frustriert.

Punkt 14 Uhr hält ein moderner Tata-Geländewagen vor unserem Hotel. Los geht es zur Verlobung. Leider ist der für sieben Fahrgäste zugelassene Wagen schon rappelvoll mit 13 Männern und Frauen aus Narayans Familie. Wir werden auf die hinteren Längsbänke zwischen den Großvater und irgendwelche Onkels des Bräutigams gequetscht. 30 Kilometer lang muss ich den Arm über wildfremde Schultern legen und auf der rechten Backe sitzen. Die Sonne heizt das Wageninnere kräftig auf. Der Bräutigam Narayan sitzt schwitzend im schwarzen Anzug auf dem Rücksitz. Auf seinem Kopf das rosafarbene Nepalesen-Schiffchen, das nur von gestandenen Männern getragen wird. Heiß ist Narayan wohl auch, weil er seine künftige Frau noch nie gesehen hat. Die beiden Familien haben die Ehepartner ausgesucht und füreinander bestimmt. Das sei in Nepal so üblich, versichert uns Bikash. Dabei habe man auch geprüft, ob der Mann und die Frau von ihren Temperamenten her zueinander passen würden. Rein theoretisch. Narayan wirkt trotzdem angespannt. Auf der Fahrt zu seiner Zukünftigen spricht er kein Wort.

In der Hauptstrapße des Fleckens Banauti an der Straße von Kathmandu nach Pokhara halten wir vor einem Geschäftshaus. Steigen mit Narayan und seiner Familie neben dem Laden eine Treppe hoch in die Wohnräume. Die Schuhe ziehen alle brav aus. Oben ein langer dunkler, enger Flur. Im ersten Raum rechts tasten wir uns zu den entlang der Wände aufgestellten Gartenstühlen und Sofas. Es gibt keine Fenster, und der Strom ist offenbar ausgefallen. Auf einem niedrigen Tisch in der Mitte brennt eine Petroleumlampe. Ansonsten ist der Tisch voller Schalen mit Rosenblättern, rotem Tikka-Pulver und undefinierbaren Dingen.

Zwei alte Männer setzen sich an dem Tisch gegenüber auf zwei Gartenstühle und reden leise miteinander. Sie handeln offenbar pro forma die Vereinigung der beiden Familien miteinander aus. Der Gastgeber hantiert dabei mit den Schalen, vermischt die Dinge darin und lässt sich richtig Zeit. Nun wird Narayan an den Tisch geleitet. Über seinen Kopf stülpt eine Verwandte einen breiten Kranz aus silbernem und grünem Lametta - das sieht ein bisschen aus wie eine deutsche Bürgermeister-Kette. Schweigend verfolgt er die weitere Verhandlung der beiden Alten.

Nach einer Viertelstunde wird die Braut hereingeführt: eine recht große, hübsche, fast europäisch wirkende Frau von etwa 25 Jahren mit langen schwarzen Haaren. Sie trägt einen roten Sari mit silbern glitzernden Streifen. Sie muss sich rechts neben Narayan setzen. Beide gucken vor sich auf den Tisch, wechseln kein Wort miteinander. Nach weiteren zehn Minuten scheint alles geregelt zu sein. Nach und nach muss jedes Mitglied unserer Delegation sich auf den Gartenstuhl links vom Bräutigam setzen. Der alte Gastgeber murmelt etwas, tupft auch mir das rote Tikka-Mal auf die Stirn und legt mir einen Luftpost-Briefumschlag in die offen gefaltete Hand. Lange nach der Zeremonie mache ich ihn auf: Er enthält 200 Rupies.

Es ist vorüber. Unsere Delegation darf sich zurückziehen und wechselt in das kleine Restaurant auf der anderen Straßenseite. Während wir ein leckeres Dal Bhat mit Chicken und Yoghurt verspeisen, darf Narayan zehn Minuten lang allein mit seiner künftigen Frau reden. Das wäre die letzte Gelegenheit, die ganze Verbindung noch mit Anstand zu lösen, sagt Bikash auf meine Nachfrage. Dazu werde es natürlich nicht kommen. Erstens, weil Narayan und seine Braut heimlich schon vorher via Facebook Kontakt aufgenommen haben und sich sympathisch finden. Zweitens, weil Nepalesen nicht die große Liebe auf den ersten Blick erwarten, wenn sie eine Lebenspartnerschaft eingehen. Er selbst habe seine Frau vor der Hochzeit auch nicht gekannt, sagt Bikash. "Und jetzt lieben wir uns." In genau sechs Tagen werden Narayan und seine Braut heiraten. Sie gründen eine kleine Familie und verbünden so ihre beiden großen Mittelschicht-Klans miteinander. Beide sind Brahmanen und haben somit ersten Zugriff auf die begrenzte Zahl der etwas besseren Jobs in Nepal. Narayan arbeitet als Techniker bei Radio Gurkha.

Am Abend taucht er mit Bikash noch einmal bei uns im Hotel auf: Seine Brüder hätten leider nur verwackelte Fotos von der Brautwerbung im dunklen Zimmer gemacht. Ob er Kopien unserer Aufnahmen bekommen könne...? Klar! So waren wir doch zu etwas nützlich. Das Lesegerät für unsere SD-Karten und einen Laptop haben die beiden schon mitgebracht.

Samstag, 20. April

Früh um sechs werde ich wach. Die Vorfreude auf die Trekkingtour ließ mich flach schlafen. Außerdem hat das Klo im Bad unseres Hotels in Gurkha furchtbar gestunken. In zwei Tagen hat es das Management nicht geschafft, die Wasserpumpe zu reparieren.

Früh um sieben sitzen wir im Offroad-Bus, der uns von Gurkha etwa 25 Kilometer weit bis zum Städtchen Arughat Bazar bringen soll. Unser Führer Bikash hat die letzten drei freien Sitzplätze im hochachsigen, angejahrten Gefährt ergattert. Ganz hinten links, wo es ordentlich schaukelt. Ich sitze wieder auf einer Pobacke, weil ich die Rückbank mit fünf weiteren Herren teilen muss. Er sei in Arughat Englischlehrer, sagt mein Nachbar, und fragt mich über den Zweck meiner Reise aus und ob mir Nepal gefalle. Ganz doll, antworte ich. Leider seien die Straßen sanierungsbedürftig. Der Bus ruckelt im zweiten Gang über den Schotter. Manchmal stößt ein Wackerstein durch die Blattfedern, so dass alle im Heck ein Stück in die Luft fliegen. Ein Härtetest für die Bandscheiben.

Links der Straße geht es steil hoch, rechts gähnt der Abgrund. Nach vier Kilometer hält der Bus kurz an: Direkt an der Kante liegt ein Ambulanz-Kleinbus auf dem Dach. Der Fahrer hatte es wohl zu eilig. Er sei schon geborgen und nur leicht verletzt, dringt die Fama zu uns durch. Es war auch kein Kranker im Bus. Glück gehabt.

Einen Kilometer weiter hat vor wenigen Tagen ein Erdrutsch die Straße blockiert. Der Raupenschlepper verteilte den Matsch auf der Trasse. Als der Busfahrer zurücksetzt, um Anlauf für die Überfahrt zu nehmen, steigen wir sicherheitshalber aus. Mit heulendem Auspuff gibt er Gas und schlingert mit durchdrehenden Hinterreifen am Abgrund entlang. Kein Problem für einen nepalesischen Busfahrer. Im Laufschritt eilen wir dem Fahrzeug nach und steigen wieder ein. Nach knapp drei Stunden haben wir die 25 Kilometer bis zum Etappenziel bewältigt.

In Arughat hört die reguläre Straße am Unterlauf des Budhi Gandaki-Flusses auf. Wir schultern unsere furchtbar schweren Rucksäcke zum ersten Marsch. Nur ein paar Treppenstufen und dann über die staubige Hauptstraße des Marktfleckens. Am Ortsende gönnen wir uns in einem Laden eine Cola, während Bikash einen Jeep für die noch befahrbare Flussstrecke nach Soti Khola sucht. Nach zehn Minuten schaukelt ein weißer Tata-Jeep heran. Am Steuer sitzt ein Junge von etwa 14 Jahren. Nein, er sei zwanzig, erzählt Nadeem. Tatsächlich zieht sich ein dunkler Flaum über seine Oberlippe. Für fünfzig (!!!) Dollar sei er bereit, uns die knapp zehn Kilometer bis Soti Khola zu befördern. Wir handeln ihn auf dreißig Dollar herunter. Dann ruckelt er mit uns im ersten Gang über Fels und Geröll. Ich sitze hinten unter der Plane und muss aufpassen, dass ich nicht von unten gegen die Stange über meinem Kopf fliege. Nadeem nutzt derweil seine zwanzig Englisch-Vokabeln, um mit Traugott zu plaudern, der auf dem Beifahrersitz kauert. Sobald er ein Mädchen überholt, pfeift Nadeem und flirtet lautstark. Die Mädchen kichern und rufen zurück. Nadeem sieht gut aus. Die letzten fünf Kilometer stellt sich sein ebenso kecker Freund Orid aufs Trittbrett und flachst durch das Seitenfenster mit dem Fahrer.

Kurz nach zwölf in Soti Khola. Ein Dal Bhat zur Stärkung. Im Gasthaus hebt ein Nepalese meinen Rucksack an und sagt mit sorgenvoller Miene: „Der ist viel zu schwer!“ Ich lächle mild und schüttele den Kopf. Das Lächeln vergeht mir schon nach einer Stunde. Der Rucksack wiegt an die 18 Kilo, die mir das Staksen über die hüfthohen Felsen am engen Flussufer erschweren. Sie sind auch noch rutschig. Traugott gleitet aus und fällt auf die rechte Schulter. Die wird ihn zwei Tage plagen. Schon nach zwei Stunden beenden wir den ersten Wandertag in Lapubesi. Das Zimmerchen kostet umgerechnet 2,50 Euro. Wir können sogar duschen: Aus einem Plastikrohr in der Außentoilette fließt kaltes Wasser. Gegen 21 Uhr fallen uns die Augen zu. Wir ahnen noch nicht, dass wir morgen an den Rand der Erschöpfung geraten werden. Und darüber hinaus.

Samstag, 21. April

„It might rain“, sagt unser Führer Bikash, als wir um sechs Uhr früh aus unserem Zimmerchen im kleinen Dorf Lapubesi kommen. Der Himmel ist voller Wolken. Trotzdem verspeisen wir im Freien unser Knoblauch-Omelett auf dem aus Deutschland mitgebrachten Vollkornbrot.

Eine Stunde nach dem Aufbruch beginnt es zu nieseln. Bald werden daraus fette Regentropfen. Wir wuchten die Rucksäcke von den Schultern, ziehen daraus Regenhose und –jacke und gehen dann zügig weiter über kniehohe Felsklötze aufwärts – immer am linken Ufer des Budhi Gandaki entlang nach Norden. Dieser Fluss entwässert das Manaslu-Massiv. Wir werden gut zehn Tage an ihm entlang laufen, fast bis zu den Quell-Gletschern in fünftausend Metern Höhe.

Doch wir sind noch in den tropischen Niederungen und schwitzen mächtig in unseren Regenklamotten. Die Steigung ist schon beachtlich. In Tatopani, gut 1000 Meter über dem Meer, retten wir uns in die Mittagspause. Der Regen trommelt aufs Blechdach des Restaurants, das Dal Bhat schmeckt fade. Als es nach einer Stunde immer noch regnet, laufen wir weiter. Viele Treppenstufen hinauf, durch kleine Körfer mit vielen kleinen schmutzigen Kindern in den niedrigen Wohnschuppen. Sie haben keine Schornsteine. Der Rauch der offenen Feuerstellen zieht durch Ritzen im Dach ab. Überall laufen glückliche Hühner herum. Wir überholen diverse schwer beladene Maultierkarawanen auf dem Weg nach oben. Etliche tragen Baustahl für neue Lodges, Talbrücken und kleine Wasserkraftwerke. Der Regen hat inzwischen aufgehört, aber die 18 Kilo auf dem Rücken werden immer schwerer. Jetzt habe er auch noch Bauchweh, klagt Traugott. Es ist schon 17 Uhr. Wir seien bald am Ziel im schönen Dorf Jagat, versichert uns Bikash. Es sei nur noch „a little bit up“. Also ein paar hundert Höhenmeter.

Auf einer der vielen Treppenstufen weigert sich mein Körper, weiterzugehen. Ich werfe den Rucksack ab. Wir sind selbst schuld. Warum tun wir mit fast 58 Jahren noch immer so, als wären wir dreißig? „I need a break“, verkünde ich und stecke einen der in Kathmandu gekauften Müsliriegel der Marke „Trekker’s Fuel“ in den Mund. Dankbar setzen sich auch Bikash und Traugott nieder. Wunderbarerweise bringt uns der Traubenzucker schon nach zehn Minuten genug Energie, um weiter zu gehen. Im Dämmerlicht erreichen wir kurz vor sieben die Lodge in Jagat. Nach einem zwölfstündigen Wandertag und 1200 Höhenmetern. Wir haben Glück und ergattern das letzte Zimmer, das uns zwei große französische Wandergruppen noch übrig lassen. Es gibt sogar eine heiße Dusche! Wir ordern zwei Bierflaschen für jeweils vier Euro. Morgen dürfen wir uns nicht so verausgaben. Wir werden viel Cannabis sehen, eine riesengroße Spinne und misshandelte Maulesel.

Montag, 22. April

Es hat einen (aber auch nur den einen) Vorteil, wenn man am Tag zuvor durch die Hitze bergan gestiegen ist: Der Körper verdunstet mehr Flüssigkeit, als du nachtanken kannst. Deshalb kannst du diese Nacht im Schlafsack bleiben und musst nicht im Dunkeln das Gemeinschaftsklo der Lodge suchen. Außerdem schläfst du tief und fest, trotz der harten Matratze und der Mücken.

Kurz nach dem Aufwachen verschränkt Traugott die Hände hinter dem Kopf, schaut an die Decke und sagt: „Wir haben schwachsinnig eingekauft. Schleppen viel zu viele Lebensmittel mit. Und das Zelt. Die Isomatten. Den Kocher. Du hast mir nicht gesagt, dass man hier überall in Lodges schlafen kann.“ Er hat recht. Das Gewicht unserer Rucksäcke macht uns fertig. Für zehn Dollar am Tag könnten wir hier einen Träger anheuern, aber das wollen wir immer noch nicht. Wir sind doch keine alten Leute! Also abspecken. Wir erfreuen den Herbergsvater mit einem Kilo sauteuren Alnatura-Beerenmüsli aus Traugotts Rucksack. Und um Traugott zu besänftigen, übernehme ich von ihm noch die Zeltstangen und die dicke Unterlegplane. Auch um die schöne kleine Petzl-Kopflampe wird Traugott erleichtert. Er vergisst sie wohl unter dem Bett und wird sie nie wieder sehen. Für Licht sorgt in den nächsten Nächten das Display seines I-Pods.

Weiter bergauf, in die immer enger werdende Schlucht des Budhi Gandaki. An Bambushainen vorbei, nachmittags auch durch lichte Kiefernwälder. Holzfäller lichten sie weiter aus, um Bauholz zu gewinnen. Ohne Maschinen. Die Balken und sogar die Bretter werden von Hand gesägt. Der Stamm liegt dazu auf einem Gerüst. Ein Arbeiter führt von oben die große Blattsätze, der andere von unten. Letztlich sind wir schuld, dass die Bäume hier allmählich verschwinden. Das Bauholz wird für neue Lodges gebraucht. Dörfer gibt es in dieser Höhe kaum noch.

Um die Mittagszeit haben wir eine große rastende Franzosengruppe überholt. Zwei Stunden später hat sich aus ihr eine Verfolgergruppe gebildet, die uns auf den Fersen ist. Die Männer tragen nur Tages-Rucksäcke; das eigentliche Gepäck befördern einheimische Helfer. Vermutlich ärgern sich die Franzosen, dass diese beiden schwer bepackten Deutschen energisch voran stiefeln. Und das tun wir um so energischer, je mehr wir uns verfolgt fühlen. Einfach nur dumm! Drei Kilometer vor dem eigentlich anvisierten Tagesziel Dyang halten wir im engsten Talabschnitt erschöpft und spontan am Manasulu Rupinala Hotel. Es hat eine nette Holzterrasse. Hier bleiben wir. Erst nach dem Einchecken merken wir, dass die Kochkünste der Wirtin sehr begrenzt sind. Und dass unser Sperrholz-Zimmer eine handbreite Spalte zum Nachbarzimmer offen lässt, in dem eine größere Gruppe Gurung-Frauen und ihrer Kinder campieren. Sie haben heute den Lama eines weit oben liegenden buddhistischen Klosters besucht und wollen morgen in ihr Heimatdorf weiterziehen. Gut – sie sind nicht sehr laut. Auch die handtellergroße Spinne lässt mich in Ruhe, die vor dem Einschlafen hinter dem Kopfkissen erscheint und an der Wand empor klettert. Während ich nach meinem Wanderstock suche, verschwindet sie im Spalt zum Nachbarzimmer. Sei’s drum! Wir schlafen gut und werden morgen ohne Katzenwäsche weiterlaufen. Denn hier gibt es nicht mal einen Wasserhahn.

Auf dem Weg vor dem „Hotel“ werden dann immer noch die beiden misshandelten Maultiere stehen. Die Lastgurte haben ihnen breite offene Wunden auf den Rücken zugefügt. Immerhin sind sie mit desinfizierender Salbe abgedeckt. Viel später werden wir erfahren, dass eine wandernde Physiotherapeutin aus der Schweiz die Erholungspause für die Lasttiere bei deren Besitzer durchgesetzt hat. Später lernen wir Andrea und ihren Freund Jonas selber kennen – sehr eindrucksvolle Leute. An diesem Dienstag werden wir Samagaon erreichen. Von dort an werden wir schwer atmen. Und frieren. Ich werde eine Peruanerkappe made in Nepal kaufen und ein tibetisches Postamt entdecken.

Mittwoch, 24. April

Strahlender Sonnenschein und zum Frühstück ein Knoblauch-Omelette – was wollen wir mehr? Ein langer Wandertag am linken Ufer des Budhi Kola liegt vor uns, mehr als 900 Höhenmeter werden wir mit unseren 18-Kilo-Rucksäcken aufsteigen. Das Ziel Samagaon liegt 3530 Meter über dem Meer.

Es geht durch einen schönen Rododendron-Wald. Keine Büsche wie in unseren Gärten, sondern richtig hohe, dicke Bäume mit weißen, orangenen und roten Blüten. Die Nepalis nennen die Pflanzen Laligurans.

Unter den Bäumen überholen wir jede Menge rot-weiß uniformierter Träger der Agentur „World Expeditions“. Sie tragen Zeltplanen, Kerosinkocher, Geschirr, Lebensmittel, metallene Klapptische und –stühle. Den Hausrat für ein Dutzend französischer Touristen, die viel Geld dafür zahlen, dass sie in den Höfen der Lodges in Gemeinschaftszelten essen und schlafen können. Da gefällt mir unser Sperrholzplatten-Zimmerchen in der jeweiligen Unterkunft und die Freiheit, das Wander-Tempo selbst bestimmen zu können, sehr viel besser. Andererseits tragen die Franzosen nicht viel mehr als ihre dicken Ditigalkameras und die Teleskopstöcke bei sich: Ihre meist mächtigen Rucksäcke und Koffer befördern die einheimischen Träger. Jeweils zwei Gepäckstücke binden sie fest zusammen und gehen dann leicht gebückt bergauf. Die ganze Last von 30 bis 40 Kilo halten sie mit dem Stirnband. Wie lange dauert es wohl, bis die Halswirbelsäule kaputt ist?

Am Nachmittag noch ein fetter Anstieg – dann sehen wir das große Dorf Samagaon in einem breiten, brettflachen Hochtal. Verstreute Yaks und Dzos (Yaks, die man mit Rindern gekreuzt hat) weiden das in dieser Höhe noch sehr kurze Frühjahrsgras ab. Von einem Seitental kommen gerade 40 der 50 junge Männer und Frauen herunter. Sie überholen uns, flott und fröhlich schnatternd. Sie kommen von einem Ausflug zur rund 4000 Meter hoch liegenden heißen Quelle zwischen dem Punggen-Kloster und dem gleichnamigen Gletscher. Verklemmt wirken diese Verwandten der Tibeter überhaupt nicht.

Am oberen Ende des weitläufigen Bauerndorfs Samagaon liegt das Touristen-Viertel. Wir finden ein Zimmer im pink und blau angestrichenen Peace and Heaven-Hotel, dessen Komfort aus zwei Plumpsklos und einem Kaltwasserhahn im Hof besteht. Als ich in der Nacht aufs Klo muss, beleuchtet der Vollmond die Spitze des Manaslu. Und hinten im Dorf singen Menschen. Ich schaue und höre und staune.

Donnerstag, 25. April

Wir bleiben noch einen Tag in Samagaon. Die Luft ist dünn. Wir müssen Kräfte tanken für den noch 1600 Meter höher liegenden Larkya-Pass. Es ist kalt. Das Hotel hat keine Heizung. Wir ziehen fast alle Klamotten aus den Rucksäcken an. Ich bereue, dass ich mir keine Daunenweste eingepackt habe. Die wiegt nun wirklich nichts!

Mit klammen Fingern verfassen wir jeweils einen Brief an unsere Liebsten. Inhalt: Die Versicherung, wie sehr wir sie vermissen, und ein Abriss der bisherigen Abenteuer. Nun sollen die Briefe zum Postamt, das es hier angeblich gibt. Bikash fragt an der Polizeistation nach dem Weg. Später ein junges Mädchen, eine reifere Frau, einen jungen Mann. Die rot gekleideten Greisinnen, die neben dem Dorftempel auf dem Boden hocken. Die beiden alten Männer, die im Hof gerade die Gedärme eines geschlachteten Yaks sortieren. Sie schicken uns zickzack durchs Dorf. Die Häuser liegen alle hinter geräumigen, von Feldsteinmauern gesäumten Pferchen. Unten die Ställe. Die Körperwärme des Viehs steigt nachts aufwärts in die über den Stall montierten Holzhäuser der Großfamilien. Die Dächer sind aus Stroh oder flachen Steinen. Schornsteine und Glasfenster fehlen. In so einem Gehöft finden wir schließlich den Posthalter. Er ist auch Bauer. Im Hof trocknet auf einer Plane das kleingehackte Fleisch und Knockenstücke eines Rindes. Bikash ruft laut „Namasté!“. Erst nach einer halben Minute erscheint ein junges Paar in der Tür. Beide haben gerötete Gesichter. Wir haben sie wohl gestört. Wie auch immer, wir geben unsere Briefe und 220 Rupies fürs Porto ab. Einmal in der Woche werde die Post abtransportiert, erfahren wir. Und zweifeln, ob sie jemals den Weg nach Deutschland findet.

Auf dem Rückweg halten wir an einer Art Kiosk. Neben Telefonkarten, Klopapier, Colaflaschen hat er auch eine Textilabteilung. Ich brauche eine warme Mütze für die Pass-Überquerung. Es gibt nur grob gestrickte Hauben im Peruaner-Stil. Made in Nepal mit Fleece-Futter, etwas zu eng für meinen Dickschädel. Kostenpunkt: Knapp drei Euro. Nun ist alles da für den morgigen Weitermarsch ins Hochgebirge.

Freitag, 27. April

Wir nähern uns dem Höhepunkt: Auf dem Weg um den 8163 Meter hohen Manaslu werden wir heute aufsteigen, bis wir die Gletscher erreichen, aus denen der Budhi Gandaki sein Wasser bekommt. Wir wollen fast 20 Kilometer weit laufen, um das 4470 Meter hoch liegende Gasthaus von Dharamsala zu erreichen – nicht die Residenz des Dalai Lama, sondern eine schlichte Unterkunft vor dem Larke-Pass. Der ist 5106 hoch, über den müssen wir rüber. Ich freue mich riesig drauf. Wenn wir den Larke-Pass schaffen, dann werden wir eine Woche später auch mit schwerem Gepäck den 5000 Meter hohen Tilicho-See am Annapurna erreichen. Und über den 5200 Meter hohen Mesokanto-Pass nach Jomsom im Tal des Kali Gandaki absteigen!

Holla – nicht so hastig, sagt das Schicksal an diesem Morgen um sieben Uhr dreißig. Es spricht aus dem Mund von Traugott. Wir sind erst 400 Meter aus dem Dorf Samagaon gelaufen, da bleibt er stehen, blickt ernst und traurig. „Das schaffe ich nicht. Ich hab einfach keine Kraft in den Beinen.“ In seinen Augen steht auch noch: Er würde am liebsten umdrehen, zurück ins Flachland. Scheiße!! Traugott!! Du warst auf dem Aconcagua, fast sechstausend Meter hoch! Du hast dich auf dem Kilimandscharo herumgetrieben, fünftausend Meter über Kenia. Warum legst du dir jetzt Puddingbeine zu! Das will ich ihm ins Gesicht schleudern, aber ich bleibe stumm. Es macht ja nichts besser. Und mir hätte es genauso ergehen können. Das war es dann wohl.

Unser Führer Bikash hat die rettende Idee – einen Plan B. „Wir könnten heute langsam nach Samdo gehen“, sagt er. „Das Dorf liegt nur 160 Meter höher. Da engagieren wir einen Maultiertreiber. Das Muli kann dann morgen eure Rucksäcke zum Pass hochtragen.“ Erleichtert nicke ich und schaue Traugott an. In seinen Augen steht deutlich: Ich würde trotzdem lieber ins Flachland gehen. Morgen geht es mir bestimmt nicht besser. Aber gut, wenn du dir so unbedingt diesen Pass wünschst, dann quäle ich mich halt weiter…

Zwei Stunden spät sind wir im Dörfchen Samdo, das angeblich in den Fünfzigerjahren von tibetischen Flüchtlingen erbaut wurde. Knappe fünf Kilometer weiter verläuft die Grenze, an der nun chinesische Soldaten Wache halten. In Samdo beziehen wir ein Sperrholz-Zimmerchen. Während Bikash nach einem Maultiertreiber sucht, spazieren wir dann mal eben den Aussichtshügel hoch bis zur 4000-Meter-Marke. Es gehe ihm schon etwas besser, sagt Traugott. Wir setzen uns hin, bewundern den Manaslu-Gipfel vier Kilometer über uns und verfolgen die aus dem Flusstal auf uns zutreibenden Regenwolken. Kaum sind wir in der Herberge, regnet es los. Als die Dämmerung einsetzt, wird aus dem Wasser Schnee. „That is no problem“, behauptet Bikash und präsentiert uns Dorje – einen sehr kräftig wirkenden 18-Jährigen aus dem Dorf. Klar, er könne unsere Rucksäcke morgen zum Pass bringen. Wir müssten gegen drei Uhr früh starten, damit wir die ganzen 27 Kilometer bis Bimthang schaffen, der ersten Siedlung hinter dem Larke-Pass. Und was kostet der Rucksack-Transport? Hundert Dollar, sagt Dorje und verzieht keine Miene. Was?! Das sei ja unbezahlbar, antworte ich. Nach fünf Minuten haben wir uns auf 80 Dollar geeinigt. Immer noch eine Menge Geld. Wir haben aber keine Alternative.

Es wird eine kurze Nacht. Morgen wird das Muli im Schnee versinken. Wir werden uns die Lippen verbrennen und später beinahe abstürzen. Nur weil ich unbedingt über diesen blöden Pass will….

Samstag, 28. April

Hab ich in dieser Nacht überhaupt geschlafen? Samdo liegt 3620 Meter über Normalnull. Kaum bin ich eingenickt, schlägt das Atemzentrum Alarm: Sauerstoffmangel! Ich öffne den Mund, hole zweimal tief Luft, gucke auf die Uhr und döse weiter. Wir müssen nachts um drei aufbrechen, damit wir die Siedlung Bimthang hinter dem Larke-Pass in einem Tag erreichen. 27 Kilometer im Hochgebirge.

Um zehn nach drei stellen wir im Hof der Lodge die prallen Rucksäcke ab. Der gestern angeheuerte Maultiertreiber Nungpa will sie da um halb vier abholen. Kommt er auch wirklich? Wir laufen mit ganz leichtem Gepäck los, drei Leute mit zwei Kopflampen durchs dunkle Hochtal. In der Nacht hat es geschneit; der Schnee pudert aber nur dünn die großen Steine. Der Weg selbst ist frei. Null Grad. Im weiten Umkreis ragen kilometerhoch die Grade des Kyonggma Kharka, Mayol Himal und Fukang Danda auf. Darüber strahlt der volle Mond im blauschwarzen Himmel. Leider sind wir zu hektisch, um die Szenerie zu genießen. Traugott glaubt immer noch, dass er es nicht bis zum Larke-Pass schafft. Und ich sorge mich um die Rucksäcke. Werden wir sie wiedersehen? Andauernd schaue ich mich um. Nach einer Stunde zuckt weit hinten ein Licht. Alles gut! 30 Minuten später hat uns das Muli erreicht – und spurt bergan davon.

Gegen fünf Uhr wird das Blau über den Zinnen immer heller. Wir knipsen die Lampen aus. Der erste Schneegipfel leuchtet hellorange auf. Die Sonne gleitet hinter uns mühelos nach oben. Ehe sie die Grate überquert, schickt sie weiße Strahlenfächer ins Firmament. In meinem linken Ohr dröhnt und brummt und saust es. Egal! Hauptsache, mir geht die Puste nicht aus. Ich schleiche voran und pumpe wie nach zehn Kilometern Dauerlauf. Der Schnee wird tiefer, liegt jetzt auch auf dem Weg.

Um halb sieben stehen wir vor dem Kantinenzelt des Höhen-Lagers Dharamsala auf 4470 Metern. Die Schlafkammern aus Bruchstein und Wellblech sind alle leer, die Wanderer längst bergauf zum Larke-Pass gezogen. Der Junge in der Küche schenkt uns Tee ein und macht binnen fünf Minuten leckere Omeletts mit fettem tibetischem Brot. Wir sind immer noch hektisch, schmieren die Gesichter mit Sonnencreme ein. Traugott zwingt mich, die alte Sonnenbrille aus dem Rucksack zu kramen. Ich trage nie eine. „Du musst sie aufsetzen!“ befiehlt er. „Du wirst sonst blind.“ Tatsächlich überflutet uns das Sonnenlicht schon auf dem nächsten Schneehang. Trotz der schwarzen Gläser muss ich die Augen zusammenkneifen. Wir spüren noch nicht, dass wir vergessen haben, die Lippen einzubalsamieren. Erst drei Tage später wird sich die Haut schmerzhaft von Unter- und Oberlippe ablösen.

Wir folgen den vielen Fußspuren bergauf. Die Russen, Tschechen und Franzosen vor uns lassen ihr Gepäck von zahlreichen Trägern hinauf befördern. Unser Muli ist nicht in Sicht. Aber die Spurzen zeigen, dass es immer häufiger mit einem oder zwei Beinen in den Schnee einbricht. Wie weit wird es kommen? Und schaffen wir es überhaupt bis zum Pass? Wir quälen uns von Anhöhe zu Anhöhe. Nach einer Stunde treffen wir das an einer Spurstange festgebundene Muli. Nungpa hat sich unsere beiden Rucksäcke geschnappt und schleppt sie selbst die letzten zweihundert Höhenmeter hinauf. Mir ist das peinlich. Wie oft habe ich in den Lodges laut geschimpft, dass kräftige Touristen den schmächtigen Trägern 40-Kilo-Lasten aufbürden. Und jetzt bin ich selbst so einer! Nun ja, Nungpa sieht wirklich stämmig aus… Da kommt er uns schon entgegen, locker und lastenfrei. Die Rucksäcke seien auf dem Pass, wie besprochen. Dankbar zahlen wir ihn aus.

Um elf sind wir endlich oben. 5106 Meter über dem Meer. Ein Tscheche mit seitlich aufgeschlitzten Hosen macht unser Gipfel-Porträtfoto. Morgen werden seine Schenkel knallrot leuchten. Ich nestle an meinen Gamaschen. Bikash treibt uns zur Eile. Ich versuche Zeit zu schinden, bevor ich den unendlich schweren Rucksack auf den Rücken schnallen muss. Schon beim Anheben gerate ich außer Atem. Traugott wirkt dagegen heiter und energiegeladen. Es geht jetzt ja bergab.

Und wie! Viel mehr Schnee hat sich in der Nacht auf der steilen Seitenmoräne des Salpudanda-Gletschers abgelagert. Immer wieder brechen wir bis zum Oberschenkel ein. Es wird schwer, kontrolliert abzusteigen. Wo der Schnee geschmolzen ist, liegt eine tückisch glatte Matsch-Schicht. Wo auch die fehlt, stapfen wir über loses Geröll und Schlamm. Dazu brät uns die Höhensonne. Die Spuren der Leute vor uns fächern breit aus. Hier und da sind breite Rutschbahnen zu sehen. Später erfahren wir, dass die Träger ihre Lasten einfach abgeworfen haben. Die Männer tragen Stoff-Turnschuhe oder Badelatschen aus Plastik. Ihr Risiko ist enorm. Abgestürzt ist aber nur ein französischer Tourist. Er fiel mit dem Gesicht auf einen Steinbrocken. Morgen früh holt ihn ein Helikopter in Bimthang ab und fliegt ihn zur Klinik nach Kathmandu, um die Platzwunde zu nähen. Das bedeutet vier- oder fünftausend Dollar Zusatzkosten und das Ende der Wanderung.

Nicht für uns. Wir stolpern mit weichen Knien bergab, immer auf der Seitenmoräne. Fünfzig Meter zur Rechten rutscht viel langsamer das Gletschereis nach unten. Wir hören es knacken. Immer wiedern poltern hellgraue Steine von der rauen Oberfläche des Gletschers herunter. Auf viertausend Metern vereinigt sich der Salpudanda mit dem Ponkgkar- und dem Kechakyu-Gletscher, die bereits den nächsten Achttausender entwässern: das Annapurna-Massiv. Doch die vereinte Eismacht verliert in den Zeiten des Klimawandels schnell an Kraft. Bei Bimthang auf 3700 Metern liegt nur noch Geröll in der Schneise. Und wir nähern uns am Rande eines Birkenwaldes den ersten Lodges. Wir nehmen nicht das lilane zur Rechten, sondern steuern links die nagelneuen, gelb und blau leuchtenden Schweden-Häuschen an. Die Zimmer sind proper. Leider gibt es darin keine Lichtquelle. Und die Leitungen der gasbefeuerten Gemeinschaftsdusche sehen so fragil aus, dass sie beim scharfen Anschauen auseinander zu fallen drohen. Um so mächtiger sind die tibetischen Möbel im Gastraum. Da löffeln wir Knoblauchsuppe, gönnen uns ein teures Bier. Und lernen Andrea und Jonas aus Zürich kennen. Die beiden beeindrucken uns in den nächsten Tagen schwer.

Sonntag, 29. April

Die Manaslu-Umrundung ist fast geschafft, der Larke-Pass überwunden. Etwas mehr als einen Wandertag abwärts geht es durch den wie irre blühenden Rhododendron-Wald bis Dharapani. Hier treffen wir auf Touristen, die am Marsyandi-Fluss entlang das Annapurna-Massiv umrunden. Der Plan war, unseren Führer Bikash nach Hause zu entlassen und dann zu zweit aufwärts nach Manang zu marschieren. Von dort zum angeblich höchsten See der Welt, dem Tilicho auf 4920 Metern. Dann über einen weiteren 5000-Meter-Pass und schließlich zwei Kilometer runter nach Jomsom im Kali Gandaki-Tal, in die angeblich tiefste Schlucht der Welt.

Alles gecancelt. Wir lassen das. Die Rucksäcke mit Zelt und Kochgeschirr sind zu schwer. Nur weil man am Tilicho angeblich zelten muss, haben wir sie auf der ganzen Manaslu-Umrundung mitgeschleppt. Besser wäre es gewesen, die Campingsachen von einem Träger gleich bis Manang oder an den Tilicho-See bringen zu lassen. Vorbei, geschenkt. Wir beschließen, mit dem Jeep zur Nationalstraße zu holpern und da einen Bus zu entern, der uns in die für Touristen sehr angenehme Stadt Pokhara bringt. Sie liegt am schönen Fewa-See, bietet bezahlbare und richtig gute Hotels und Restaurants. Da erholen wir uns. Und wandern schließlich zehn Tage den Modi Khola aufwärts bis zum Annapurna-Basecamp.Der Zufall will es, dass wir uns die Jeep-Kosten mit Andrea und Jonas aus Zürich teilen, die wir schon in Bimthang kennengelernt haben. Wir landen gemeinsam im Hotel Mount Fuji in Pokhara. Es wird von Karen betrieben, einer ehemaligen Lehrerin aus dem Erzgebirge. Ihren Gästen in Pokhara bietet sie jeden Morgen Yoga-Übungen an. Und ein üppiges Frühstück auf der Dachterrasse mit Blick auf den See und den heiligen Berg Machapuchre.

Bevor wir zu den Annapurna-Gletschern aufbrechen, ist Zeit für lange Unterhaltungen mit Andrea und Jonas. Andrea hat ihren Job als Physiotherapeutin in Zürich suspendiert, um neun Monate lang in einer neurologischen Klinik in Kathmandu zu arbeiten. Sie erzählt uns von den verunglückten Bauarbeitern, die jetzt querschnittsgelähmt sind und Probleme haben, brauchbare Rollstühle zu finden. Sie erzählt auch von dem höhenkranken chinesischen Touristen, den sie mit Jonas bei einer früheren Bergtour halbtot gefunden und mit Mühe gerettet hat.Ende Juni ist die Zeit in Kathmandu für Andrea zu Ende. Sie wird dann mit Jonas per Velo nach Hause radeln. Und dabei einen Umweg über Indonesien und Südamerika machen. „Entschleunigungsfahrt“ nennen die beiden das. Ihr Motiv: Mit dreißig Jahren müssten sie noch einmal so lange arbeiten wie sie jetzt alt sind. Da sei ein knapp zweijähriger Urlaub zwischendurch sehr angemessen. Sie haben Hab und Gut verkauft, um ihn zu finanzieren.

Bis Andrea mit ihrer Arbeit in Kathmandu fertig ist, hat Jonas (der normalerweise als IT-Spezialist arbeitet) mit seinen beiden Brüdern mal eben eine Fahrradtour durch Anatolien, Armenien und Georgien gemacht. In den Iran hat man ihn leider nicht radeln lassen. Deshalb lieh er sich Anfang Juni in Kathmandu ein Mountainbike und strampelte mal eben binnen einer Woche während des Monsuns um das Annapurna-Massiv herum. Eine Route, die meine Frau und ich vor drei Jahren nicht mal zu Fuß bewältigen konnten. Man merkt halt, dass man nicht jünger wird. Also: Bevor ich euch meine letzten Abenteuer im Annapurna-Circuit schildere, schaut doch mal auf den spannenden Blog von Andrea und Jonas: www.entschleunigungsfahrt.

Mittwoch, 1. Mai in Pokhara, Nepal

Ich gehe mit Traugott zum staatlichen Büro, das die etwa 40 Euro teure Wander-Erlaubnis im Annapurna-Bereich ausgibt. Dafür sind wieder mal Passbilder fällig. In der Fotobude um die Ecke fragt mich ein etwa zwölfjähriger Junge, ob ich im Pokal-Halbfinale den Münchnern oder Barcelona die Daumen drücke. Als ich Barcelona nenne, freut er sich. Er kennt die Bundesliga besser als ich.

Freitag, 3. Mai

Wir müssen ein Taxi nehmen für die 15 Kilometer von Pokhara bis zum Einstieg in die Berge bei Phedi. Der etwa 50 Jahre alte Fahrer erzählt, dass er für seinen uralten Hyundai und für den Haus-Kredit sagenhafte 22 Prozent Zinsen bezahlen muss. Die normalen Geschäftsbanken gäben einem Kleinunternehmer wie ihm kein Geld.

Der Aufstieg nach Dhampus ist steil, sonnig und heiß. Aber wir haben noch Kondition von der Manaslu-Umrundung. Und unsere Rucksäcke sind halb so schwer geworden. Wir haben gelernt! Der Weg ist teilweise sogar für Jeeps befahrbar. Strom und Mobilfunk gibt es in dieser Gegend auch. Vor drei Jahren war ich schon mal hier. Inzwischen sind etliche neue Hotels gebaut worden, die teilweise richtig schick aussehen. Trotzdem werden etliche Gasthäuser an der Strecke heute wohl wieder leer bleiben. Immer wieder bitten uns Wirte am Wegesrand, bei ihnen Station zu machen. Wir halten erst in Landruk, hoch über dem Flusslauf des Modi Khola. Die Holzveranda von Ex-Captain Laligurans Lodge ist mit bunt bemalten Schnitzfiguren verziert, vielleicht steigen wir deshalb hier ab. Neben uns wohnen zwei Franzosen mit dicken Fotoapparaten. Und ein schönes brasilianisches Mädchen, das mit seiner Freundin je ein Einzelzimmer geordert hat. Beide Damen duschen und essen erst, als es dunkel geworden ist. Von der nepalischen Gastwirtsfamilie werden sie hofiert. Sie genießen ihre Schönheit.

Samstag, 4. Mai.

Gut geschlafen in Landruk. Der Weg geht runter ins Tal. Es ist diesig. Wir überqueren den Modi Khola und trinken in New Bridge einen Tee mit Milch (Chai). Das ist ein Fehler. Eine halbe Stunde später drückt mein Magen. Die steile Treppe von Jhinudanda nach Chomrong kommt mir immer länger vor. Der Akku leert sich rapide. Es sind doch nur 400 Höhenmeter! Von Chomrong führt eine breite Treppe aus glimmerglitzenden Steinplatten gut 200 Meter in die Tiefe und dann wieder 300 Meter hoch. Immer häufiger muss ich rasten, lasse den Kopf nach vorne hängen und stütze mich auf beide Stöcke. Erbarmungslos fotografiert mich Traugott in dieser elenden Situation. Wir wollten noch viel weiter, doch die nächste Pension links ist unsere. In der düsteren, engen Absteige lege ich mich gleich auf die Matratze, friere und döse. Dann bricht es aus mir heraus. Im Gastraum gegenüber tafeln zwei russische Wandergruppen. Darunter eine Familie mit einem Jungen und einem Mädchen von etwa elf Jahren. Keins der Kinder, die ich zu Hause kenne, hätte diese anstrengende Tour mitgemacht!

Neun Tage bleiben uns noch bis zum Heimflug. Morgen steigen wir weiter aufwärts und begegnen seltsamen Leuten.

Sonntag, 5. Mai

Vom vergifteten Chai habe ich mich über Nacht einigermaßen erholt. Jetzt klagt Traugott über Magenbeschwerden. Vielleicht stammt das Milchpulver aus China – war da neulich nicht ein Skandal?

Die vielen Treppenstufen erklimmen wir etwas langsamer als sonst. Zum Glück wird die Route ebener. Links und rechts stehen Bambushaine und Rhododendron-Bäume. Viele Leute kommen uns entgegen, die das Annapurna-Basecamp schon hinter sich haben. Eine halbe Division Japaner, in Handschuhen, langärmeligen Hemden und Schlapphüten mit Sonnenschutzvorhängen. Damit die Haut weiß bleibt. Westliche Pärchen, denen man genau ansieht, ob sie gut drauf sind oder nicht. Russische Wandergruppen und chinesische Mädchen, deren Kleidung und Schuhe eher auf die Champs Elydees als an den Modi Khola passen würden. Im winzigen Weiler Himalaya nehmen wir schon früh am Nachmittag ein Zimmer. Legen uns gegen acht Uhr abends aufs Ohr.

Montag, 6. Mai

Ich träume, ich hätte versehentlich den Bodenbelag aus hauchzarter Schokolade auf Schlagsahne zerstört, den ein japanischer Meister mühevoll auf einen Hallenboden ausgebracht hat. Ich will im Laufschritt fliehen, aber meine beiden japanischen Begleiter bestehen darauf, sich auf dem Bauch aus der Gefahrenzone zu bewegen. Das dauert viel zu lange. Kurz bevor uns der schreckliche Zorn des Meisters erreicht, wache ich auf. Verdrücke ein Omelett zum Frühstück, während Traugott an einem Chappati nagt. Er habe Wackelpudding in den Beinen und immer noch Bauchweh, verkündet er. Aber wir wollen beide nicht hier bleiben. Ich übernehme seinen Wäschesack, dann schnaufen wir wieder bergauf. Das Tal hat sich geweitet, und die Landschaft ist grandios. Rechts ragt der heilige Machapuchhre in den Himmel, dessen Fischschwanz-Spitze ein wenig zu uns geneigt ist. Überall fast vertikale schneebedeckte Flanken. Darunter noch kahle Birken. Von den Hängen stürzen Wasser herab.

Gegen Mittag erreichen wir überraschend schnell die schöne Fishtail-Lodge im Machapuchhre-Basecamp auf 3700 Metern. Während Traugott sein Bauchweh ausschläft, steige ich vom Hinterhof her auf die grasige Seitenmoräne des Annapurna-Süd-Gletschers. Sie ragt etwa 30 Meter auf, dann bricht die Graskante senkrecht ab, und nur noch Geröll und Erde fallen gut 200 Meter ins Bett des Gletschers. Das Eis ist weggeschmolzen; unten rauscht beigefarbenes Wildwasser. Gegenüber, weit hinten in einem schmalen Seitental, sehe ich mit dem Fernglas durch Wolkenschwaden das rote Gemeinschaftszelt des Tent Peak Base Camps. Das erreicht man nicht mit Wanderschuhen.

Gegen 18 Uhr sitzen alle 20 Gäste der Fishtail-Lodge an den langen Tischen im Gastraum. Sie studieren die Speisekarte und ordern das Abendessen. Ein grobgesichtiger, etwa 50-jähriger Firmenchef aus Südkorea ist unter uns, begleitet von zwei rangniederen Männern. Er hat ein I-Pad dabei und surft für teures Geld im Internet. Das Essen lässt auf sich warten. Eine Stunde, zwei Stunden. Was ist los? Ich plaudere mit einem jungen Italiener, der mit seinem irischen Arbeitskollegen mal eben für fünf Tage aus Paris in den Himalaya geflogen ist. Der koreanische Chef hat derweil etliche Flachmänner mit Bagpipe-Whisky konsumiert. Auf dieser Meereshöhe wirkt sich das selbst bei einem Gewohnheitstrinker deutlich aus. Immer lauter werden die Popsongs aus seinem I-Pad. Dann lässt er „Gangnamstyle“ laufen, singt, guckt begeistert in die Runde und merkt nicht, dass es allen peinlich ist.

Gegen 20 Uhr stolpern zwei schwer atmende Nepalesen mit hoch beladenen Kiepen durch den Gastraum in die Küche. Kann es sein, dass noch Zutaten fehlten…? Sie mussten zwei Tagesmärsche weit von der Straße heraufgetragen werden. Eine halbe Stunde lang dringen klappernde und brodelnde Geräusche aus der Küche – dann trägt die Mannschaft auf einen Schlag jede Menge leckerer Gerichte herein. Traugott schwärmt: Die Nudeln seien die besten, die er jemals in Nepal genossen hat,

Dienstag, 7. Mai

Früh um halb fünf weckt mich Traugott. Ich stehe ungern auf. Es ist dunkel und kalt. Aber er bleibt hartnäckig. Wir lassen die Rucksäcke im Zimmer und eilen im Halbdunkel über den gefrorenen, mit hellblauen Primeln gespickten Talboden bergauf zum Annapurna-Basecamp. Auf 4000 Metern ist die Luft wieder knapp, das Herz wummert. Unterwegs erscheint die Sonne zuerst orange und dann gleißend hell – sie wärmt aber nicht. Eine knappe Stunde später sind wir da, wo die Gletscher das Ende des Tals erreichen. Mittendrin die langgestreckten Lodges mit den himmelblauen Blechdächern. Über 200 Leute können hier unterkommen. Wir gehen zum steinernen, mit leuchtenden Gebetsfahnen bespannten Denkmal der toten Bergsteige Es sind Dutzende Namen und Fotos. Ich fühle nichts hier oben. Wir trinken einen Tee und gehen dann wieder runter. In den nächsten Tagen erleben wir noch eine Menge. Aber eigentlich ist die Reise hier zu Ende.

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